Die Geschichten der Betroffenen sind eindrücklich
Kirsten Kastner leistete psychosoziale Akuthilfe im rheinland-pfälzischen Ahrtal
„Die Erlebnisse sitzen tief. Die Menschen hatten Todesängste, durchlitten Stunden, in denen sie um ihr Leben bangen mussten und stehen nun vor dem Nichts.“ Kirsten Kastner muss tief durchatmen, wenn sie an ihren Einsatz im Hochwassergebiet im rheinland-pfälzischen Ahrtal zurückdenkt. Als ehrenamtliche Mitarbeiterin des Notfallnachsorgedienstes (NND) beim DRK-Kreisverband Calw e.V. war sie vor Ort, um die Menschen im Gespräch zu unterstützen. Vergleichbares, so Kastner, habe sie in ihrer langjährigen Tätigkeit noch nie erlebt.
Die Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) leistet Akuthilfe, begleitet Menschen nach einem schweren Unglück und traumatisierenden Erlebnissen. Normalerweise ist es deren Aufgabe, in den ersten Stunden zu stabilisieren. Davon sei man im Ahrtal jedoch weit entfernt gewesen. Größtenteils haben die ehrenamtlichen Einsatzkräfte einfach zugehört. „Was die Menschen brauchen, ist ein offenes Ohr“, berichtet Kastner. Die Gespräche entstanden dabei meist durch ein niederschwelliges Ansprechen. Und die Geschichten, die dabei zu Tage traten, sind eindrücklich.
Woher die Betroffenen, ob der kriegsähnlichen Zustände, die in ihrer Heimat herrschen, ihre Kraft schöpfen, kann sich die PSNV-Mitarbeiterin selbst nicht genau erklären. Möglicherweise ist es das Bewusstsein, mit dem eigenen Schicksal nicht allein zu sein. Möglicherweise werde von den Betroffenen das Erlebte aber auch zunächst durch die Aufräumarbeiten, die körperlich sehr viel abverlangen, verdrängt. So sind die meisten durchweg positiv gestimmt. Dankbar, noch am Leben zu sein. Dankbar, so viel Unterstützung zu erhalten.
Vor allem die unbürokratische, freiwillige Hilfe sei bewundernswert und bewege die Menschen vor Ort. Aus dem Nichts heraus entstünden Grillfeste, bei denen Anwohner und Helfer zusammenkommen, um den Arbeiten für kurze Zeit den Rücken zu kehren. Genau diese Unterstützung sei es, die jetzt so dringend benötigt werde und zusammenschweiße. „Unsere Aufgabe bestand vor allem auch darin, den Betroffenen die Stärke mitzugeben, sich gegenseitig weiterhin zu unterstützen“, erklärt Kastner. Denn die Psychosoziale Notfallversorgung, welche in erster Linie als Akuthilfe fungiere, müsse nun in einzelnen Fällen von der Seelsorgerischen Betreuung und weiteren psychosozialen Beratungsstellen übernommen werden. „Solche längerfristigen Schädigungen, welche sich über Wochen ziehen, verändern den Menschen. Sie traumatisieren auf eine andere Art und Weise als beispielsweise ein schwerer Unfall“, so Kastner. Vor allem wenn die Person durch andere Schicksale bereits vorbelastet ist, sei das Erlebte deutlich schwerer zu verarbeiten. Dafür werden nun konkrete Ansprechpartner benötigt, welche die Betroffenen weitergehend begleiten.
Doch nicht nur mit den Einwohnern, auch mit den Hilfskräften vor Ort kamen die PSNV-Kräfte ins Gespräch. Wichtig sei dies vor allem deswegen, weil die eindrücklichen Bilder für den Einzelnen sehr belastend sein können. Das Ausmaß der Zerstörung in seiner Gänze zu sehen, wirke sich ganz anders aus, als einzelne Bilder, die man über die Medien erhalte. Manch freiwilliger Helfer sei nicht so belastbar. Hier sei es wichtig, dies rechtzeitig zu erkennen und entsprechend zu agieren. Die ehrenamtlichen Hilfskräfte vor Ort seien jedoch durchweg positiv gestimmt. Dieses bedingungslose Miteinander, die gute Koordination zwischen den einzelnen Organisationen und der gegenseitige Respekt sei es, was die Leute antreibe.